Nadine und Edell waren am 20. Juni 2019 in der Erstaufnahmeeinrichtung Kloster Blankenburg, um im Rahmen einer Fortbildung für Flüchtlingsberater*innen über Unterstützungsmöglichkeiten für FGM-Opfer zu berichten. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit VNB/AMBA statt. Die ca. 20 Teilnehmer*innen sind Mitarbeiter*innen der Landesaufnahmebehörde (LAB) in Oldenburg.
Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
- Unser Netzwerk baobab – zusammensein e.V. ist aus der Notwendigkeit entstanden, die Gesundheitsförderung und die Teilhabe der afrikanischen Communities in Niedersachsen und Bremen zu fördern. Unsere Schwerpunkte sind die HIV/AIDS Prävention, der Kampf gegen FGM; die Selbstermächtigung afrikanischer Migrantinnen und die Sensibilisierung zu Genderthematiken.
- Mit der Zunahme der Schutzsuchenden im Jahr 2016 kamen mehr Frauen zu uns, die FGM-Opfer sind. Wir bieten ihnen eine ganzheitliche Begleitung.
- FGM ist ein sehr sensibles Thema und muss mit viel Feinfühligkeit angesprochen werden.
- Man muss schon bei der Wahl der Begrifflichkeit vorsichtig sein. Je nach der Region, wo die Betroffenen herkommen, gibt es verschiedene Wörter, um FGM zu bezeichnen.
- FGM ist ein Tabuthema. Es ist schwer für die Betroffenen, aufgrund ihrer Sozialisation detailliert und direkt über FGM zu berichten.
- Vor allem bei der Anhörung sprechen die Betroffenen in der Regel eher indirekt und oberflächlich über ihnen zugefügtes Leid, und laufen dadurch Gefahr, als nicht glaubwürdig eingestuft zu werden.
- Es ist auch eine Herausforderung für die Betroffenen im Asylverfahren zu beweisen, dass sie beschnitten sind. Baobab ist ein Stützpunkt für die Akquirierung von Beweismitteln.
- Wir sind in unserem Netzwerk verpflichtet, den Kampf gegen FGM aufzunehmen mit dem Hauptziel Kinder zu schützen. Die Betroffenen finden bei baobab einen Ort, um sich auszutauschen und um das Erlebte zu verarbeiten.
Die Teilnehmer*innen haben großes Interesse gezeigt. Die Erfahrungsberichte der Betroffenen haben ihre Neugier geweckt. Es wurde lebhafte Fragen gestellt und diskutiert, Themen waren u.a.:
- Die Rolle der Männer im Kampf gegen FGM. Soll man, da sie die Antreiber für FGM sind, bei der Aufklärung nicht erst mit ihnen anfangen? Die Männer spielen eine wichtige Rolle für die Durchführung von FGM. Sie stellen die finanziellen Mittel für die anschließende Zeremonie (Feier) zur Verfügung. Durch FGM wird die Machtposition der Männer untermauert. Die Männer wollen die Kontrolle über das Sexualleben ihrer Frauen haben.
- Im Netzwerk wirken Männer unterschiedlicher Herkunft bei der Aufklärung mit. Aber bei baobab liegt die Priorität in der Selbstermächtigung der Frauen. Die Frauen sollen ihre Schicksale, ihre sexuelle Orientierung usw. selbst bestimmen können. Sie sind diejenigen, die an den gravierenden Folgen von FGM leiden. Außerdem sind sie eine wichtige Säule in der Kindererziehung. Durch sie können wir auch die Kinder aufklären und schützen. In unserem Netzwerk haben wir festgestellt, dass die Frauen überzeugte Multiplikatorinnen sind. Leider haben wir bis jetzt keine Förderung, um diese Arbeit niedersachsenweit flächendeckend zu etablieren und zu verstetigen.
- Kinderschutz: Was kann man machen, wenn man merkt, dass ein Kind gefährdet ist? Unser Hauptziel im Kampf gegen FGM ist, die Mädchen, die in Deutschland leben, vor diesem Verbrechen zu schützen. Deshalb müssen alle Fachkräfte in der Erziehung, Kinderhilfe, in den Jugendämtern, in den Schulen, Kindergärten, Kinderärzt*innen usw. über FGM aufgeklärt werden, um vorbeugende Maßnahmen für den Kinderschutz ergreifen zu können. Die Maßnahmen können je nach Fall unterschiedlich sein. Es kann ein Passentzug, eine Meldung beim zuständigen Jugendamt sein, oder es kann ein ärztliches Attest vor und nach einer Urlaubsreise in das Herkunftsland der Eltern verlangt werden.
- Gibt es auch bei baobab Männer, die vom Kampf gegen FGM überzeugt sind? Ja, obwohl die Mehrheit unserer Multiplikator*innen Frauen sind, haben wir auch in unserem Netzwerk viele Männer, die sich stark gegen FGM engagieren.
- Spielt die Religion, als Träger des Patriarchats, eine Rolle für die Durchführung von FGM? Keine Religion empfiehlt explizit FGM. Die Begründungen für FGM sind je nach Region, wo FGM praktiziert, unterschiedlich.
- Besteht nicht die Gefahr, dass, wenn FGM ein Asylgrund ist, alle Afrikanerinnen nach Deutschland kommen? Nicht alle Afrikanerinnen sind FGM-Betroffene. Kein Mensch verlässt gern ohne Grund seine Heimat.
- Ist FGM in Afrika gesetzlich verboten? In den meisten afrikanischen Ländern ist FGM gesetzlich verboten. In der Praxis werden die Gesetze jedoch nicht beachtet. Bei Verhaftungen drückt die Polizei ein Auge zu, weil sie bestochen wird.
- Wird FGM auch hier in Deutschland durchgeführt? Wir erfahren in unseren Gesprächskreise von sogenannten „reisenden Omis“, die aus anderen europäischen Ländern bestellt werden, um die Genitalverstümmelung in Deutschland durchzuführen.
Fragen zu Frauen-Empowerment
- Wie läuft die Kindererziehung in Afrika? Kommen auch Fälle von Gewalt gegen Kinder bei baobab öfter vor? Gewalt gegen Kinder ist nicht nur ein afrikanisches Problem, sondern leider ein allgemeines gesellschaftliches Problem. Baobab bekommt immer mehr Anfragen für Fortbildungen über die Erziehungsstile in Afrika. Wir werden generell gerufen, wenn es schon „brennt“, z.B., wenn Kinder schon in Obhut genommen wurden bzw. das Sorgerecht bereits entzogen wurde. Baobab dient in solchen Fällen als Brücke zwischen dem Jugendamt und den afrikanischen Familien. Für uns ist es aber besser bzw. wünschenswert, vorbeugend gegen die Gewalt an Kindern vorzugehen und über die Communities über die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland aufzuklären.
- Afrikaner*innen behaupten, dass afrikanische Kinder ohne Gewalt unerziehbar seien. Stimmt das? Diese Behauptung ist eine persönliche Ansicht. baobab – zusammensein e.V. setzt sich für Kinderrechte ein. Im Projekt AMiN haben wir Wochenend-Seminare für Frauen durchgeführt. Fortbildungen zu Kindererziehung und Kinderrechten waren einige unserer Schwerpunkte. Unter anderem wurde unmissverständlich über Gewalt gegen Kinder als eine strafbare Kinderrechtsverletzung sensibilisiert.
- Gibt es auch afrikanische Männer die sich für Frauen-Empowerment bei baobab engagieren? Ja, baobab – zusammensein e.V. ist ein landesweites Netzwerk. In unserem Netzwerk engagieren sich auch Männer für Frauen-Empowerment. Im Rahmen des aktuellen Genderprojekts „Amani“ führen wir eine communitygerechte Sensibilisierung und Wissensvermittlung über Genderthematiken durch, mit dem Ziel, Geschlechtergleichberechtigung in den afrikanischen Communities zu fördern. In diesem Projekt werden sowohl Männer als auch Frauen angesprochen.
Kommen auch afrikanische Männer zu uns, die von Frauen sexuell belästigt wurden?
Bisher ist uns kein Fall bekannt.
Viele Afrikaner*innen sind sehr christlich geprägt und das Christentum ist patriarchalisch. Wie gut nehmen sie unsere Botschaft des Frauen-Empowerments an?
Die Botschaft des Frauen-Empowerments wird sehr positiv angenommen. Religion spielt bisher keine Rolle. Wir planen ein Seminar im September mit einem Mitglied unseres Vorstands, der zugleich katholischer Priester ist. Er wird uns anhand seines Glaubens darlegen, dass die christliche Lehre die Geschlechtergleichstellung vorsieht.