FGM aus der Perspektive der Opfer, darum ging es in diesem Workshop, der am 13. Juni 2019 im Freizeitheim Vahrenwald durchgeführt wurde. Frauen aus Sudan, Somalia, Kenia, Cameroun, Côte d’Ivoire und anderen afrikanischen Ländern sprachen über ihre Erfahrungen und vor allem darüber, welche Auswirkungen die Verstümmelung auf ihr Leben hat.
Während des Workshops gab es schwerpunktmäßig drei Länderberichte (Somalia, Sudan und Côte d’Ivoire).
1. Erfahrungsberichte aus dem Somalia
Wie wird FGM durchgeführt?
- Alter: Beschneidung findet in der Regel im Alter von 3–4 Jahren und spätestens mit 8 Jahren statt.
- Die Betroffene berichtet, dass sie bei Ihrer Beschneidung circa 4 Jahre alt gewesen sei. Ihre Mutter wollte mit der Beschneidung warten bis sie 8 Jahre alt ist.
- Die Großmutter hat das Mädchen zu ihr im Dorf geholt und mit einer Freundin die Beschneidung heimlich geplant und durchgeführt ohne die Mutter zu informieren.
- Sie hat danach 4 Tagen lang stark geblutet und könnte keinen Urin lassen.
- Die Mutter, die in der Großstadt war hat von der Beschneidung ihrer Tochter erfahren. Sie hat das Kind schnell in ein Krankenhaus zur Behandlung gebracht.Dort konnte die Blutung gestoppt werden, und Schmerzmittel verabreicht.
- Eine zweite Betroffene berichtet, dass sie nach der Beschneidung 3 Wochen lang nicht normal Urin lassen konnte.
- In ihrem Dorf gibt es eine Frau, die die Beschneidungen durchführt.
- Alle Frauen in ihrem Dorf seien beschnitten.
- Die Zeremonie findet zu Hause statt.
- Nach der Bescheidung wird groß gefeiert.
- Ein beschnittenes Mädchen darf sich nicht von einem unbeschnittenen Mädchen anfassen lassen. Die Unbeschnittenen gelten als „unrein“
- Der Vater finanziert die Beschneidung.
FGM und Sexualität
- Die Frauen beschweren sich über ständige Schmerzen beim Sex.
- Eine Betroffene erzählt uns ganz offen über ihre Sexualität: „Wenn ich Sex mit meinem Mann habe, empfinde ich 3 Tage lang Schmerzen beim Urin lassen. Ich flüchte vor meinem Mann indem ich Auswege und Ausreden finde um weitere sexuelle Kontakte zu vermeiden. Mein Mann gibt mir manchmal Salbe um Schmerzen zu lindern. Wenn er zu viel Lust auf Sex hat, sage ich ihm, dass ich ihm freie Hand gebe, sich eine andere Frau für seine sexuelle Befriedigung auszusuchen“
FGM und Schwangerschaft
- Eine Betroffene berichtet, dass sie erst in Deutschland zum ersten Mal in ihrem Leben beim Frauenarzt war. Das war aber auch erst bei ihrer ersten Schwangerschaft.
- Die Frauenärztin sei sichtlich schockiert gewesen und hätte eine weitere Ärztin in die Untersuchung dazu geholt.
- Es war eine unangenehme Erfahrung für sie. Sie fühlte sich zur Schau gestellt.
- Sie hatte bei der Schwangerschaft sehr viele Komplikationen und zahlreiche Krankenhausaufenthalte.
- Bei Ihren zweiten Schwangerschaft waren die Komplikationen so ernsthaft, dass sie teilweise sich in Lebensgefahr befand. Sie hat die ganze Schwangerschaft im Krankenhaus verbracht.
- Die Regeltage verlängern sich bei Typ III. Das Blut kommt nur tropfenweise raus. Dadurch verstaut sich viel Blut in der Gebärmutter. Dies führt zu schweren Komplikationen vor allem in der Schwangerschaft. Bei dieser Betroffene wurde bei der Kaiserschnittentbindung Reste von verstauten Regelblut ausgeschabt.
- In beiden Fällen müssten ihre Babys per Kaiserschnitt geholt werden.
- Die zweite Betroffene berichtet von 7 Schwangerschaften und nur 3 lebenden Kindern. Ihr erstes Kind ist bei der Geburt verstorben. Ihre andere verstorbene Kinder sind innerhalb des ersten Lebensjahr verstorben.
- Generell vermeidet sie Frauenarztbesuche in Deutschland wegen unangenehme Bemerkungen und Reaktionen der Frauenärzt*innen.
- Sie erzählt von einer Frauenärztin, die sie verspottet hat und gefragt hat, durch welchen Ausgang sie ihre sieben Kinder spontan geboren hatte.
- Die dritte Betroffene hat 3 Kindern, die schon Erwachsen sind.
- Ihr erstes Kind ist auch bei der Geburt verstorben.
- Nach Erfahrung der Betroffene ist die Geburt des erstes Kindes das Schwierigste. Viele Frauen und Babys sterben dabei.
- Der praktizierte FGM Typ III ändert sich allerdings langsam in Somalia. Seit einigen Jahren wird Typ III also die pharaonische Beschneidung bei manchen Familien nicht mehr praktiziert. Stattdessen wird eher die sunnitische Beschneidung durchgeführt.
- Aufgrund der hohe Sterberate während der Geburt bei Typ III wird in diesen Familien die Typ II (sunnitische Beschneidung) durchgeführt.
- Viele Frauen mit Typ III schaffen es nicht bei der Geburt das Baby raus zu bekommen. Viele sterben dabei oder verlieren ihre Babys.
- Außerdem klagen viele Frauen von schweren Infektionen und Komplikationen in der Schwangerschaft.
- Die Betroffene Frau berichtet von einer Cousine die neulich bei der Geburt ihres Kindes verstorben ist.
- Bei FGM Typ III muss die Frau beim gebären geöffnet werden. Danach wird sie wieder zugenäht.
Kinderschutz/ Prävention
- Eine Betroffene setzt sich ein, dass ihre Tochter nicht beschnitten wird. Dafür hat sie sich mit der Unterstützung ihres Mannes entschlossen ihre Tochter bis zum 18. Lebensjahr nicht nach Somalia einreisen zu lassen. Sie fürchtet, dass sie unter den Druck der Familie die Beschneidung der Tochter zulässt.
- Sie engagiert sich in der somalischen Community in Niedersachsen für die Prävention mit dem Hauptziel die Kinder hier in Deutschland zu schützen.
- Eine Familie, die nach Somalia reisen wollte, wurde den Reisepass der Tochter am Flughafen Frankfurt entzogen.
- Sie kennt eine Frau, die ihre Tochter bei einer Aufenthalt in Somalia beschneiden ließ. Das Kind hat davon im Kindergarten berichtet. Der Kindergarten hat es beim Jugendamt gemeldet und seit dem muss sich die Mutter gerichtlich verantworten.
Gesetze gegen FGM und ihrer Wirkung
- FGM ist in Somalia gesetzlich verboten.
- Gesetze spielen keine Rolle in der Prävention. Die Gesamtbevölkerung gibt dieses Verbot keine Achtung.
- Die Betroffenen haben keine Chance irgendwo wegen FGM eine Beschwerde einzulegen.
2. Erfahrungsberichte aus dem Sudan
Wie wird FGM durchgeführt?
- Alter: Die meisten Beschneidungen finden bis zum Alter von 8 Jahren statt. Bei der Betroffene würde FGM im Alter von 8 Jahre durchgeführt.
- Ihre Wunde hat sich erst nach einem Monat geschlossen. Bis zur Vernarbung des Wundes hat es viele Monate gedauert.
- Um Entzündungen zu hemmen und Heilung zu fördern wurden bei ihr verschiedenen Hausmitteln verwendet: gemahlener Kaffee, Tee, Parfum, Kräuter usw.
- Sie leidet seither unter Schmerzen und Komplikationen.
- Sie wurde mit 15 geheiratet und hat mit 21 ihr erstes Kind bekommen.
- Ihr Vater hat die Beschneidung finanziert .
- Nach der Beschneidung findet eine große Feier statt.
- Die Betroffene hat von einem Fall berichtet, wo eine unbeschnittene Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes auf Wunsch ihres Mannes von dem medizinischen Personal im Krankenhaus beschnitten wurde.
- Eine unbeschnittene Frau wird verpönt und als „open“ (offen) beschimpft.
FGM und Sexualität
- Bis sie nach Deutschland kam glaubte sie, dass Beschneidung und die damit verbundene Schmerzen ein Teil des Frau sein sei. Sie hätte auch geglaubt, dass alle Frauen beschnitten sind.
- Sie als Betroffene der Typ II Beschneidung erlebt extreme Schmerzen beim Sex und empfindet Sex als eine Gewalttat.
- Nach einer sexuelle Handlung kann sie nicht normal Urin lassen. Diese Probleme haben zu Konflikten in ihrer Ehe geführt. Sie hat sich von ihrem Mann deswegen scheiden lassen.
- Außerdem muss sie jeden Monat stärke Schmerzen bei ihrer Regelblutung ertragen. Das Blut läuft nur Tropfenweise raus.
- Sie erzählt von Ehemännern in Sudan die sogar bei längeren Reisen ihrer Frauen zunähen lassen bis sie von der Reise zurückkehren.
Kinderschutz/ Prävention
- Die Betroffene hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, weil er für die Beschneidung der Tochter war.
- Sie sagt, dass sie mit ihrer Tochter nicht nach Sudan reisen möchte um eine Zwangsbeschneidung durch ihre Familie oder die Familie des Mannes zu vermeiden.
- Sie konnte sich zwei Mal stark einsetzen, dass ihrer Schwester, die in Frankreich lebt ihre Tochter nicht beschneiden lässt. Als Argument hat sie unter anderem die Schwester auf die rechtliche Folgen hingewiesen.
Gesetze gegen FGM und Ihre Wirkung
- FGM ist in Sudan gesetzlich verboten.
- Wird aber nach wie vor praktiziert besonders im ländlichen Raum. Allerdings sind die Feiern nicht mehr so öffentlich und üppig.
- Die meisten Beschneidungen finden im Dorf statt. Die Großstadtlebenden fahren für die Zeremonie ins Dorf.
- Falls die Polizei bei so einer Zeremonie auftaucht, werden Sie bestochen und unternehmen nichts.
- Die Betroffene berichtet, dass das Verbot eher für Khartoum gelte. Für der Rest des Landes wird FGM ungehindert weiter praktiziert.
- Für eine unbeschnittene Frau, die im Dorf lebt ist es ausgeschlossen einen Mann zum heiraten zu finden.
3. Erfahrungsbericht aus der Elfenbeinküste
Wie wird FGM durchgeführt?
- Alter: FGM findet in der Regel in der Jugend und spätestens vor der Volljährigkeit statt.
- Es kommt auch öfters vor, dass unbeschnittene Frauen vor dem Heirat von ihren zukünftigen Männern zu FGM gezwungen werden.
- Die Betroffene kommt aus der westlichen Region der Elfenbeinküste
- Die Beschneidung findet als große Sammelzeremonie statt.
- Viele Familien kommen zusammen und sammeln Geld für die Feier. Ihre Töchter werden zusammen beschnitten.
- Die meisten Beschneidungen finden in den ländlichen Dörfern statt.
- In der Elfenbeinküste wird in der Regel je nach Gebiet, FGM Typ I und Typ II praktiziert.
- Eine unbeschnittene Frau wird als vom „Teufel besessen“ verurteilt.
- Sie wird von dem Ehemann unter Druck gesetzt sich beschneiden zu lassen.
Gesetze gegen FGM und Ihre Wirkung
- FGM ist in der Elfenbeinküste gesetzlich verboten.
- Wird aber weiterhin heimlich besonders im ländlichen Raum praktiziert.
- Manchmal kommt es zu Verhaftungen aber keine ernstzunehmende Konsequenzen.
- Öffentliche Kampagnen seien eher für den Fernseher. In der tat hat es sich wenig geändert.
4. Anforderungen an dem medizinische Personal in Deutschland
- Alle berichtende Frauen offenbaren, dass Sie grundsätzlich frauenärztliche Untersuchung in Deutschland vermeiden bis es nicht mehr geht.
- Sie fürchten sich vor den schockierten Blicken und Reaktionen des medizinischen Personals und weiter stigmatisiert zu werden.
- Sie appellieren an Frauenärzt*innen nicht schockiert zu reagieren.
- Sie appellieren, dass Frauenärzt*innen mehr über das Thema sensibilisiert werden um einen feinfühligen Umgang zu gewährleisten.
- Sie sollen auch keine weitere Personal zum „kucken“ in die Untersuchung holen ohne ihren Erlaubnis. Sie fühlen sich dadurch stigmatisiert und zur schau gestellt.
- Sie fordern die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht.
- Der freie Wahl des Facharztes muss für die Betroffenen gewährleisten sein.
5. Anforderungen an den Krankenkassen, Sozialamt und politischen Akteure
- Die Krankenkassen sollen die Kosten für eine Wiederherstellungsoperation übernehmen.
- Die Transportkosten für den Fahrt zur Behandlung sollen finanziert werden.
- Die Finanzierung für eine kultursensibel Begleitung soll gewährleistet sein. Dabei sind die Sprachmittler*innen speziell für afrikanische Sprache notwendig.
- Aufgrund kulturellen Unterschiedlichkeiten soll die Prävention in den verschiedenen Communities ankommen. Dafür brauchen wir finanzielle Mittels.
- Die Prävention muss in der Verantwortlichkeit der Betroffenen liegen. Sie sind die Hauptakteure um ihre Töchter gegen FGM zu schützen.